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Kompromisse sind immer Lose-Lose-Situationen

Aktualisiert: 3. Apr. 2023


Die Geschichte der beiden Schwestern zeigt sehr eindrucksvoll, wie die typischen Problemlösungsmechanismen funktionieren und zu einer Lose-Lose-Situation führen können: Sandra und Lisa stehen in der Küche vor der Früchteschale und haben es auf die letzte Orange abgesehen. Plötzlich entfacht sich ein heisser Streit um die verbliebene Orange. Die Mutter schaltet sich ein und halbiert, ohne zu zögern, die Orange und streckt die eine Hälfte Sandra und die andere Hälfte Lisa hin. Beide machen ein langes Gesicht und verlassen missmutig die Küche. Was ist passiert? Der Kompromiss der Mutter verhinderte eine Win-Win-Situation zwischen den Schwestern. Aber weshalb, es haben beide genau die Hälfte der Orange erhalten? Die Rechnung ist ganz einfach: 50% + 50% = 100%. Jede hat nur die Hälfte erhalten und somit auf 50% verzichtet. Irgendwie eigenartig und doch so nachvollziehbar.


Wie wäre es aber, wenn beide Schwestern je 100% bekommen hätten? Dann sähe die Rechnung wie folgt aus: 100% + 100% = 200%. Man sieht auf einen Blick, dass die Summe bei der zweiten Gleichung doppelt so hoch ist, wie bei der ersten. Ebenfalls ist der Anteil von jeder Partei doppelt so hoch und demzufolge konnte in dieser Variante 100% der Bedürfnisse erfüllt werden. Kompromisse erzwingen eine Lose-Lose-Situation, auch wenn wir in unserer Kindheit ganz etwas anderes gelernt haben.


In Konfliktsituationen ist die Zementierung der Positionen der grosse Stolperstein im Problemlösungsprozess. Jede Seite beharrt auf ihrer Position und betont vehement, was sie will. «Ich will mehr Geld.», «Ich will die Orange.», «Ich will nach Paris in die Ferien.» usw. Jack Nasher ist Professor an der Munich Business School und gilt als führender Verhandlungsexperte. Er empfiehlt den Paradigmenwechsel von «Ich will…» hin zu «Warum willst du…?» Also von der Position zum dahinterliegenden Interesse und Bedürfnis. Als Alternative zum Kompromissverhalten der Mutter hätte sie vorab die dahinterliegenden Interessen beider Mädchen abfragen können: «Warum möchtest du die Orange, Sandra?» und «Warum möchtest du die Orange, Lisa?» Dann hätte sie herausgefunden, dass Sandra einen Kuchen backen möchte und nur die Schale braucht und dass Lisa Durst hat und nur den Saft benötigt. Trotz der geradezu bestechenden Einfachheit dieser Lösung ist die Wirkung immens. Die Würdigung der dahinterliegenden Interessen der Beteiligten ist der Türöffner schlechthin. Wir alle haben das tief verankerte menschliche Bedürfnis in uns nach Anerkennung, sprich nach Gesehen- und Verstanden-werden. Wer sich nicht gesehen fühlt, tendiert zu kindlichem Trotz und reagiert mit Liebesentzug und Blockaden, egal wie «gut» die Lösung der Gegenseite auch sein mag. Das Prinzip dahinter lautet: «Wenn du nicht auf mich zukommst, dann komm ich erst recht nicht auf dich zu». Nashers Plädoyer für ein interessensbasiertes Vorgehen führt uns zu einer sehr humanistische und vor allem wertschätzende Kommunikationsform. Die Frage nach dem Was willst du? Was ist dir wichtig? spiegelt das Wahr- und Ernstnehmen des Gegenübers und baut schlagartig jegliche Schutzmauern ab. Und wenn die Schutzmauer fällt, sieht man plötzlich hinter die Fassade und erkennt, was meinem Gegenüber wichtig und wertvoll ist. Und dies gilt es zu respektieren und zu schützen. Denn jede und jeder hat recht in seinem Denk-System!


Es fördert den inneren Kompass zu Tage – unser Wertesystem. Jedes Mal, wenn zwischenmenschliche Konflikte auftauchen, hat sich im Untergrund eine Werte-Kollision ereignet. Das, was mir wichtig ist, ist mit dem was dir wichtig ist, zusammengestossen.


Herzlichst Rico Stämpfli

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